Finanzmärkte 2022 – Quo vadis?

Finanzmärkte 2022 – Quo vadis?

Kommentar, 30. Dezember 2021
Das Jahr 2021 war in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Jahr: Wichtige westliche Börsenindizes verzeichneten beispiellose Anstiege, Kryptowährungen - eine unter Experten immer noch stark umstrittene Anlageklasse - wiesen eine spektakulär hohe Volatilität auf, und die Rohstoffpreise, allen voran die für Erdgas, vervielfachten sich. Es überrascht daher auch nicht, dass die monatlichen Inflationsraten in den USA, im Vereinigten Königreich und auch in Europa Werte erreichten, die seit Jahrzehnten nicht mehr beobachtet wurden.

All dies geschah vor dem Hintergrund weit verbreiteter Neuinfektionen mit dem Covid-19-Virus, die zu massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens und einer damit verbundenen Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit führten. Dies hatte zumindest in der westlichen Welt zu Beginn des Jahres wenig Raum für Optimismus gelassen. Nur hartgesottene Optimisten hätten erwartet, dass sich die Wirtschaft so bald zum Besseren wenden würde. Doch die massiven staatlichen Stützungsmaßnahmen, im Wesentlichen Kombinationen einer ultralockeren Geldpolitik mit umfangreichen fiskalischen Stimulierungsmaßnahmen, führten zu einer erfolgreichen Stabilisierung der Wirtschaftstätigkeit in den meisten betroffenen Ländern. Insbesondere trugen beispiellose groß angelegte öffentliche Impfkampagnen dazu bei, die unmittelbare Gesundheitsbedrohung durch das Virus erheblicher und deutlich schneller zu reduzieren, als man zuvor hätte erwarten können. Noch wichtiger ist, dass die Stimmung bei Verbrauchern und Unternehmen in der Folge einen positiven Umschwung erfuhr, der nicht nur kurzfristig anzuhalten scheint. Eine massive Aufstockung der Ersparnisse der privaten Haushalte und ein erheblicher Rückstand bei der Abarbeitung von Kundenaufträgen werden daher höchstwahrscheinlich dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Dynamik bis weit in die erste Hälfte des Jahres 2022 anhält.

Die Millionen-Dollar-Frage ist nun, wie lange diese vorteilhaften Rahmenbedingungen anhalten werden und was die positive Entwicklung stören könnte, sofern die Pandemie überwunden werden kann. Nach bestem Ermessen und basierend auf den wichtigsten Indikatoren zur Messung der wirtschaftlichen Aktivität deutet vieles auf eine anhaltende, wenn auch etwas langsamere Expansion der Wirtschaftstätigkeit in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2022 hin. Dies dürfte ausreichen, um die Aktienindizes auf ihrem derzeitigen Niveau zu unterstützen und einen allmählichen weiteren Anstieg in der ersten Hälfte des nächsten Jahres zu ermöglichen. Allerdings ist damit zu rechnen, dass gleichzeitig die Disparitäten und damit die Volatilität zunehmen werden.

Doch während die Aktienmärkte gute Chancen haben, diesem Gegenwind mehrere Monate lang zu trotzen, scheint an den Anleihemärkten schließlich ein Wendepunkt erreicht worden zu sein. Diese Entwicklung ist vor allem der absehbaren Änderung der Zentralbankpolitik wichtiger westlicher Notenbanken 2022 geschuldet. Es ist zu erwarten, dass die US-FED, die BoE, die EZB und sogar die ultralockere BoJ ihre jeweiligen quantitativen Lockerungsprogramme schrittweise oder vollständig auslaufen lassen und früher oder später mit der Anhebung der Leitzinsen beginnen werden. Abgesehen von wiederkehrenden, taktisch bedingten Portfolioumschichtungen in vermeintlich sichere Staatsanleihen, dürften die Anleihekurse daher im Jahr 2022 unter starken Abwärtsdruck geraten. Kurzum: Die bisherige „Doppelparty“ zweier typischerweise wenig korrelierter Anlageklassen könnte nun endgültig vorbei sein, und mehr Vorsicht bei zinssensiblen Anlagen scheint angebracht.

Aus der Vogelperspektive ist zu erwarten, dass die vielzitierte Selektivität noch stärker in den Vordergrund rücken wird. Es ist davon auszugehen, dass Multi-Asset-Ansätze angesichts des aktuellen Umfelds spezifische Schwankungen der Anlageklassen am besten abfedern, insbesondere aus einem Blickwinkelder reale Renditen in den Vordergrund stellt. Die Berücksichtigung der für einen fortgeschrittenen Konjunkturzyklus typischen Assetklassenmechanik sollte zudem die Bemühungen der Investoren eine bessere Performance zu erzielen zusätzlich unterstützen. So wird sich etwa die Stilrotation von Growth zu Value für Aktienanleger endlich durchsetzen, und kurzfristige, inflationsgebundene festverzinsliche Wertpapiere werden Anleihenanlegern helfen, Zinserhöhungen besser zu meistern. Letztere könnten sich auch überlegen, variabel verzinsliche Wertpapiere in Betracht zu ziehen oder letztlich sogar ihr Engagement in der Anlageklasse in naher Zukunft deutlich zu reduzieren, bevor sich die Lage bessert. Rohstoffe dürften hingegen gute Chancen haben, ihren überwiegend positiven Trend bis weit ins nächsteJahr hinein fortzusetzen. Betrachtet man jedoch zum Beispiel die enttäuschende Wertentwicklung von Edelmetallen auf USD-Basis, so erfordert auch diese Anlageklasse einen sorgfältig ausgewogenen Investmentansatz. Bei Währungen sollten diejenigen, die vehement auf einen noch stärkeren US-Dollar setzen, das Risiko einer abrupten Änderung der EZB-Leitzinspolitik für den EUR/USD-Kurs nicht unterschätzen.

Dessen ungeachtet gibt es viele gute Gründe für die Annahme, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels viel früher und stärker in den Bilanzen der Unternehmen bemerkbar machen werden, als viele Finanzmarktanalysten und Investoren noch vor wenigen Jahren erwartet haben mögen. In ihrer extremsten - negativen - Ausprägung könnten so genannte"stranded Assets" für einige Wirtschaftszweige in unmittelbarer Zukunft zur Realität werden. Aber nicht nur das, auch soziale Themen und Governance-Aspekte sollten uns alle im Zusammenhang mit unseren Veranlagungen beschäftigen, wie die aktuelle Pandemie zuletzt eindrücklich gezeigt hat. Neben der Berücksichtigung von Multi-Asset-Aspekten könnte es in naher Zukunft daher auch mehr denn je sinnvoll sein, Nachhaltigkeit dauerhaft in Anlageportfolios einzubauen.

Manuel Schuster, CEO




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