Kommentar, 8.April 2022
Die Absicherung von Anlageportfolios gegen das Risiko eines realen Wertverlusts spielte in den letzten zwei Jahrzehnten nur eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich schienen in diesem Zusammenhang bis vor nicht allzu langer Zeit die möglichen negativen Effekte einer Deflation, also eines Rückgangs der Verbraucherpreisindizes, die unmittelbar größere Gefahr zu sein. Umso eher dürften angesichts der derzeit auf breiter Front ansteigenden Produzenten- und Konsumentenpreise einige Investoren negativ überrascht worden sein. Tatsächlich haben Ausmaß und Dynamik zum Teil sogar professionelle Anleger auf dem falschen Fuß erwischt, nicht zuletzt aus der lange verfochtenen Sichtweise eines „temporären Charakters“ dieses relativ neuen Phänomens. Verbraucherpreissteigerungen von 7,5 % p.a. in der Eurozone und 7,9 % p.a. in den Vereinigten Staaten im März 2022, Tendenz steigend, dürften jedoch selbst die letzten Zweifler von der Ernsthaftigkeit dieses Themas überzeugt haben.
Außerdem deuten viele Faktoren wie etwa rekordhohe Preise für natürliche Ressourcen und verarbeitete Rohstoffe, steigende Lebensmittelpreise aufgrund des Ukraine-Russland-Konflikts und neuerliche Unterbrechungen in den globalen Lieferketten durch Covid-19 Ausbrüche, um nur die Wichtigsten zu nennen, auf eine länger anhaltende Inflationsspirale hin. Diese wird wahrscheinlich fast alle Bereiche des täglichen Geschäfts- und Privatlebens betreffen. Die entscheidende Frage ist daher, wie man Nominalwerte am besten vor diesen negativen Auswirkungen schützen kann?
Leider gibt es nicht die eine Anlageklasse, die Portfoliobestände nachhaltig vor einem Kaufkraftverlust schützen kann. Wie so oft im modernen Portfoliomanagement dürfte aber ein breit diversifizierter, ausgewogener Ansatz die negativen Effekte am besten abfedern, zumindest teilweise. Für ausschließlich auf Anleihen fokussierte Investoren sollten inflationsgeschützte Staatsanleihen die erste Wahl sein, um sich gegen negative Inflationseffekte abzusichern. Allerdings beinhalten diese Instrumente, trotz Absicherung des Nominalwerts und der Zinszahlungen, auch Zinsrisiken. Dies ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass Vermögenswerte, die Zahlungsströme in der Zukunft beinhalten, als Folge steigender Zinsen (ceteris paribus) niedrigere Gegenwartswerte verzeichnen. Es besteht also das Risiko von Preisrückgängen durch negative Diskontierungseffekte in Zeiten steigender Zinsen. Um dieses Risiko zu minimieren und dennoch die Vorteile des Inflationsschutzes nutzen zu können, sollten Ansätze mit kurzer Duration bevorzugt werden.
Ein in gewisser Hinsicht „naher Verwandter“ inflationsgebundener Anleihen sind Anlagen in Aktien von Infrastrukturunternehmen. Diese können ebenfalls als vergleichsweise stabile, zuverlässige und vermögenserhaltende Investitionen eingestuft werden. Globale, börsennotierte Infrastrukturfonds, eine auch für Privatanleger leicht zugängliche Anlageklasse, haben in vielen Fällen Renditen erzielt, welche die langfristigen durchschnittlichen Inflationsraten übersteigen. Dies liegt daran, dass die Erträge von Infrastrukturunternehmen meistens durch entsprechende Preisregulierung, Konzessionsvereinbarungen oder sonstige vertragliche Abmachungen explizit an die Inflationsentwicklung gekoppelt sind. Diejenigen Unternehmen, die über keinen expliziten Inflationskonnex verfügen haben oft die nötige Preissetzungsmacht, um ein ähnliches (oder sogar besseres) Ergebnis zu erzielen. Nicht zuletzt profitieren Infrastrukturanlagen aufgrund ihres strategischen Charakters häufig von einem direkten oder indirekten stattlichen Schutz. Dieser sichert sie gegenüber wirtschaftlichen Turbulenzen oder gar drohenden Zahlungsausfall ab. Die bekannten Risiken aus der Veranlagung in Aktien sollten jedoch nicht gänzlich vernachlässigt werden, obwohl diese Anlageklasse als weniger volatil („low-Beta“), defensiv und aus Kreditrisikosicht überwiegend solide einzuschätzen ist.
Investitionen in börsennotierte Immobilien stellen im Aktiensegment eine weitere Anlage mit Schutz gegenüber Inflation dar. Das kommt daher das Gewerbe- und Wohnungsmieten häufig Inflationsschutzklauseln enthalten, außerdem werden Immobilien aufgrund ihres physischen Charakters als attraktive, sichere Anlage angesehen. Die Risiken in Bezug auf die Volatilität der Aktienmärkte können jedoch erheblich sein, zudem können Immobilien in konjunkturellen Abwärtsphasen auch an Wert verlieren. Letzteres es regelmäßig zu einem Rückgang des Kreditwachstums aufgrund von steigenden Leitzinsen und/oder höheren Leerständen bei Gewerbeimmobilien kommt.
Aktien von Unternehmen die Güter des täglichen Bedarfs erzeugen und zugleich konstant hohe Dividendenrenditen aufweisen, können eine weitere, effektive Veranlagung zum Zweck der Erhaltung realer Vermögenswerte darstellen. Insbesondere in Zeiten steigender Energiepreise und hoher Kosten bei Agrarrohstoffen hat die Lebensmittel verarbeitende Industrie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit steigende Inputkosten an ihre Abnehmer weiterreichen zu können. Insbesondere solche, die eine erhebliche Preissetzungsmacht aufweisen, sollten höhere Preise erzielen können. Typische Aktienkennzahlen (Kurs-Gewinn-Verhältnis, Dividendenrendite und Gewinnmargen) sowie Indikatoren des inneren Wertes (Kurs-Buchwert-Verhältnis) sind hilfreich, um die relative Attraktivität dieser Aktien zu beurteilen. Auch die Kostenintensität und Risiken in Bezug auf Unterbrechungen der Lieferketten sollten berücksichtigt werden. Da diese Aktien zu den defensiven Sektoren zählen verleihen sie den Portfolien zusätzliche Stabilität, da bei ihnen zu erwarten ist, dass sie in Zeiten fallender Aktienindizes wesentlich weniger Abwärtsvolatilität aufweisen. Bei beginnenden Rezessionen sollten sie daher die letzten Werte sein, die fallende Kurse verzeichnen. In diesem Zusammenhang können auch direkte Veranlagungen in Farmen, Erzeuger von landwirtschaftlichen Vorprodukten und Unternehmen der Wald- und Forstwirtschaft einen attraktiven Schutz für realwertorientierte Anleger darstellen. Im Hinblick auf den optimalen Einstiegszeitpunkt sind sie jedoch schwierig umzusetzen, da die Kursnotierungen dieser Unternehmen möglicherweise bereits erheblich gestiegen sind, bevor breitere Preisindizes eine rohstoffgetriebene Inflation erfassen beziehungswiese anzeigen können.
Im Allgemeinen können Portfolien am besten gegen rohstoffpreisinduzierte Inflation abgesichert werden, indem in die zugrunde liegende Quelle des Preisdrucks selbst investiert wird, d. h. in den jeweiligen Rohstoff. Dies beinhaltet meist den Einsatz von Derivaten oder derivatebasierten Lösungen. Ein Nachteil dabei ist das Risiko einer Divergenz zwischen dem Preis des Basiswerts und dem des Derivats. Deutlich schwerwiegendere Verwässerungseffekte eines indirekten Engagements, also beispielsweise durch den Kauf von Aktien rohstoffproduzierender Unternehmen, die zumindest das Risiko von Managementfehlern auf Unternehmensebene beinhalten, können dadurch aber jedenfalls vermieden werden. Im Kontext mit Rohstoffen wird das Edelmetall Gold oft als die beste Veranlagung betrachtet. Während Gold durch seine Beständigkeit und zugleich hohe Liquidität durchaus und mit gewissen Einschränkungen als krisenfeste Ersatzwährung betrachtet werden kann, sind seine systematischen Absicherungsqualitäten gegen eine angebotsseitig induzierte Währungsentwertung in Verbindung mit steigenden Realzinsen weniger intuitiv. Dennoch ist Gold als Absicherung gegen extreme Verwerfungen an den Finanzmärkten – auch im Hinblick auf Währungsturbulenzen – ein wichtiger Portfoliobestandteil.
In Bezug auf den konkreten Umbau eines Finanzportfolios hin zu einer inflationsresistenteren Ausrichtung stellen Komplettlösungen unter Einsatz von Investmentfonds die bequemste Lösung für Privatanleger dar. Im Vergleich zu anlageklassenspezifischen Einzelfondslösungen werden hier höhere Managementgebühren in den meisten Fällen durch minimalen Rebalancing-Aufwand auf Portfolioebene mehr als wett gemacht. Um allerdings potenziell negative Effekte von Strategiefehlern auf Fondsmanagementebene zu reduzieren, empfehlen sich diversifizierte Veranlagungen in 3-4 Investmentfonds. Diese sollten dank breit gestreuter Veranlagungen über die bereits zuvor skizzierten, inflationsschützenden Charakteristika, uneingeschränkt verfügen. Für diejenigen Anleger, die eine hundertprozentige Kontrolle über ihre Portfoliozielallokation bevorzugen, werden hingegen anlageklassenspezifische Lösungen am besten funktionieren. Börsengehandelte Fonds, börsengehandelte Rohstoffzertifikate und Derivate werden bei diesem Ansatz wahrscheinlich die bevorzugte Lösung darstellen. Bei diesem Ansatz sollte jedoch eine ständige Portfolioüberwachung und im Bedarfsfall dynamische Portfolioumschichtung unbedingt in Betracht gezogen werden.
Manuel Schuster, CEO&CIO